Mangelernährung untern Mikroskop

Rund um das Thema Mangelernährung

Mangelernährung trifft viele. Heute wird in diesem Beitrag erklärt, was Magelernährung ist und wie man ihr am besten begegnen kann.

Definition – Was ist Mangelernährung?

Mangelernährung bedeutet ein Ungleichgewicht in der Zufuhr von Energie (Kohlehydraten, Fett), Proteinen, Vitaminen, Spurenelementen zum Bedarf einer Person.

Dieses Ungleichgewicht kann entweder aus einer unzureichenden Nahrungszufuhr, einem erhöhten Bedarf oder einer veränderten Verwertung von Nährstoffen resultieren. Folge sind ein veränderter Stoffwechsel, eine verschlechterte Funktion und schließlich ein Verlust an Körpergeweben.

Histoy – Seit 1974 ein Thema

Bereits 1974 sorgten Fallberichte zum Thema Mangelernährung in der Zeitschrift “Nutrition Today” für Widerhall. Unter dem Titel “The Skeleton in the Hospital Closet” legte Dr. George Butterworth, University of Alabama, anhand von fünf Patientenverläufen die negativen Auswirkungen einer nicht oder unzureichend erfolgten Ernährungstherapie dar. Zwei Ärzte der Harvard-Universität, Dr. George Blackburn und Dr. Bruce Bistrian, unterstrichen seine Aussagen, indem sie die Bedeutung und das beträchtliche Ausmaß der “Protein-Energie-Malnutrition” in ihrem eigenen Patientenkollektiv zur Publikation freigaben. Damit war die Mangelernährung bei Patienten erstmals ein Thema, und der Ruf nach adäquater Ernährungsbetreuung mittels parenteraler (Ernährung am Darm vorbei) und enteraler (Ernährung über den Darm) Therapien wurde laut.

Quelle: Butterworth C.: The Skeleton in the Hospital Closet. Nutrition Today, 1974: 4–8. Blackburn G.L., Bistrian B.: A report from Boston. Nutrition Today 1974: 30. In: Valentini L., Jadrna K.: Zehn Jahre Ernährungsteams in Österreich: Definitionen, Aufgaben und Perspektiven. Journal für Ernährungsmedizin. 2004; 6 (2) (Ausgabe für Österreich), 17-23.

“Obwohl das Problem der Mangelernährung seit den 70er Jahren bekannt ist, hat sich an den Zahlen zur Häufigkeit in den Spitälern Europas bis heute wenig geändert. Im Jahr 2003 wurde eine Resolution des Europarates zur Erfassung entsprechender Maßnahmen herausgegeben. Trotzdem ist das Thema weder in der medizinischen Fachwelt noch in der Öffentlichkeit präsent, die Resolution scheint unbeachtet zu bleiben.”

Dr. Oliver Galvan, Univ.-Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Innsbruck

Zahlen und Fakten

Eine 2002 durchgeführte Vergleichsstudie des Europarates in acht Ländern stellte fest: Mangelernährung in europäischen Spitälern ist ein Faktum. Zwischen 20 und 60 Prozent aller Patienten sind beim Klinikeintritt mangelernährt und bleiben dies auch während des Aufenthaltes.

Eine deutsche Pilotstudie der Universitätsklinik Charité und des Krankenhauses Zehlendorf zum Ernährungszustand mit insgesamt 800 Patienten ergab, dass jeder vierte stationär behandlungsbedürftige Patient mangelernährt war. Insgesamt hatten die unter Mangelernährung leidenden Patienten eine 40 Prozent längere Verweildauer im Krankenhaus und eine höhere Mortalität zwei Jahre poststationär.

Studienergebnisse aus den Niederlanden, Schweden, Großbritannien und den USA mit insgesamt 1.318 Patienten zeigten bei mangelernährten Patienten eine um etwa 60 Prozent verlängerte Verweildauer im Krankenhaus gegenüber normal Ernährten.

Quelle: Weinsier et al.: Hospital malnutrition: a prospective evaluation of general medical patients during the course of hospitalisation. Am J Clin Nutr 1979; 32: 418-426, Robinson et al., Impact of nutricional status on DRG length of stay.
JPEN 1987; 11: 49-51; Cederholm et al.: Outcome of protein-energie malnutrition in elderly medical patients. Am J Med 1995; 98: 67-74; Naber et al.: Prevalence of malnutrition in nonsurgical hospitalized patients and its association with desease complications. Am J Clin Nutr 1997; 66: 1232-1239; J. Edington et al.: Prevalence of malnutrition on admission to four hospitals in England. Clinical Nutrition 2000; 19 (3): 191-195.

Auch eine Studie des Ernährungsmediziners Univ.-Prof. Dr. Johann Hackl an der Universität Innsbruck ergab: Eine Fehlernährung kommt bei Personen in Alters-/Pflegeheimen und bei Krankenhauspatienten relativ häufig vor. Im Krankenhaus müssen über 30 Prozent als mangelernährt bezeichnet werden, höher liegt der Anteil beispielsweise bei onkologischen Erkrankungen (bis 82 Prozent).

Quelle: Hackl, J.M.: Mangelernährung in der Tiroler Bevölkerung. Untersuchung bei Krankenhauspatienten und bei Patienten außerhalb des Krankenhauses. Aktuel Ernaehr Med 2005, 30: 34-38.

“Viele Krebspatienten versterben an Ursachen, die durch Mangelernährung hervorgerufen werden, eher als am Tumor.”
Andrea Hofbauer, Vorsitzende des Verbandes der Diaetologen Österreichs

Kachexie, der krankhafte Gewichtsverlust, ist laut Hofbauer bei etwa 20 Prozent aller Krebspatienten für den Tod verantwortlich.

“Der Anteil der untergewichtigen Bewohner in Alten- und Pflegeheimen wird in der internationalen Literatur zwischen 23 bis 85 Prozent angegeben.”
Dr. Eduard Rappold, Sozialmedizinisches Zentrum Baumgartner Höhe, Otto Wagner Spital mit Pflegezentrum.

Eine Studie in zwölf Langzeitpflegeeinrichtungen in Wien und Niederösterreich (DDr. R. Messer, 2005) ergab, dass 26 Prozent der Bewohner, also 226 von insgesamt 876 Personen, untergewichtig waren.

In verschiedenen Studien wurde auch gezeigt, dass die Mangelernährung mit einer längeren Krankenhausaufenthaltsdauer, einer verringerten Lebensqualität, einer höheren Morbidität und Mortalität und höheren Kosten verbunden ist.
Ökonomische Analysen zeigen, dass die Behandlungskosten der mangelernährten Patienten bis zu 100 Prozent höher liegen als von normal Ernährten.

Quelle: Robinson et al.: Impact of nutritional status on DRG length of stay. JPEN 1987; 11: 49-51; 11:49; Reilly J et al.: Economic impact of malnutrition: a model system for hospitalized patients.
JPEN 1988; 12:376.

Die Ursachen von Mangelernährung

Die Ursachen von Mangelernährung bei Menschen, die zu Hause leben, sind soziale Isolation, Vergesslichkeit, Schmerzen, Schluck- und Kaubeschwerden, Krankheiten des Verdauungstraktes, Unselbstständigkeit beim Essen und Kochen oder belastende Lebensereignisse.

Im Spital hingegen sind es etwa zu lange Nüchternphasen, Arzneien, die Hunger hemmen, Therapien, die die Ernährung beeinflussen, Schmerzen oder zu lange Aufbauphasen nach Operationen.

Die Folgen einer Mangelernährung

Konsequenzen der Unterernährung können sein:

  • Gewichtsverlust, Muskelabbau und Funktionseinschränkungen (Herzmuskel, Skelettmuskel, Atmung, Muskelkraft)
  • Abbau gastrointestinaler Strukturen und Funktionen (Verdauung, Resorption)
  • Geringe Widerstandskraft, verschlechterte Immunantwort (Infektrisiko höher)
  • Erhöhtes Risiko der Entstehung von Druckwunden
  • Verzögerte Wundheilung
  • Verschlechterte psychologische Funktion und verminderte Lebensqualität (Apathie, Depression, verminderter Lebenswille, verminderte Konzentration und mentale Funktion)
  • Kostensteigerung

Ernährung als Therapie

Ein Bewusstsein zum Thema Mangelernährung ist in der Bevölkerung sowie im medizinischen und pflegerischen Umfeld (Ärzteschaft, Pflegepersonal etc.) unzureichend bzw. kaum vorhanden.
Werden im Bereich der Spezialnahrung seit Jahrzehnten intensive Forschungen betrieben und Produkte weiterentwickelt (Astronautennahrung), zeigt sich in der Gesundheitsversorgung ein konträres Bild: Mangelernährung hat keine Lobby und ist in der Öffentlichkeit kein Thema!

Bis dato wird in Österreich Spezialnahrung nicht als Therapie anerkannt und auch grundsätzlich nicht von den Krankenkassen finanziert. Die Folgen für Patienten und die Volkswirtschaft sind dramatisch: höhere Behandlungskosten, längere Krankenhaus-Aufenthalte, schlechtere Rehabilitation, weniger Lebensqualität für Patienten.
US-Studien zufolge kommt es durch die Mangelernährung zu einer Verlängerung des Spitalsaufenthaltes um bis zu 90 Prozent.

Darüber hinaus beeinträchtigt die Mangelernährung wesentlich die Lebensqualität des Patienten. Hinzu kommen oft erhebliche finanzielle Belastungen bzw. bürokratische Aufwendungen für die Bewilligung von Spezialnahrung. Diese wird in Österreich von den Krankenkassen nicht bzw. nur in bestimmten Ausnahmefällen mit Einzelbewilligung (§ 133 ASVG) erstattet – und dies, obwohl der Einsatz von Spezialnahrung volkswirtschaftlich gesehen sogar eine Entlastung des Gesundheitssystems bringen würde.

“Die Folgekosten einer Mangelernährung, wie Pflegebedürftigkeit, mangelnde Mobilisierung, Entstehung von Dekubitus und Infektionen etc. sind unvergleichlich höher, als jene der Ernährung selbst.”

Dr. Thomas Wild, Universitätsklinik für Chirurgie Wien,
Klinische Abteilung für Allgemeinchirurgie

Quellen: https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/mangelernaehrung-wissenschaftliche-studie-beweist-vorbeugende-wirkung-von-therapeutischer

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